Mit KI sicherer und gesünder arbeiten
Gleich doppelt ist der SIGUV-Partner BG ETEM in diesem Jahr im Rahmen des IVSS-Preises für gute Praxis Europa 2024 mit einem „Zertifikat mit Auszeichnung“ prämiert worden. Bei beiden Preisen spielte Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle.
Seit 2008 würdigt die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) herausragende Leistungen und innovative Lösungen ihrer Mitgliedsorganisationen für mehr soziale Sicherheit mit dem „IVSS-Preis für gute Praxis“. Die IVSS ist die weltweit führende internationale Organisation für Institutionen, Regierungsstellen und Behörden, die sich mit der sozialen Sicherheit befassen. Zu ihr gehören auch viele deutsche Sozialversicherungsträger. Sie umfasst 340 Mitgliedsinstitutionen aus über 160 Ländern.
Bei der Verleihung des „IVSS-Preises für gute Praxis Europa 2024“ wurde die SIGUV-Partnerin BG ETEM für ihre Anstrengungen um mehr Sicherheit gleich mit zwei „Zertifikaten mit Auszeichnung“ bedacht. Beide Prämierungen gab es für Innovationen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruhen.
- Anwendung „RehaPlus“: Mittels KI können Reha-Management-Fälle frühzeitig identifiziert werden.
- Risiko am Arbeitsplatz: Mithilfe von KI werden Orte bestimmt, die mit einer überdurchschnittlichen Wahrscheinlichkeit Schauplatz eines Unfalls sein könnten.
RehaPlus – Hilfe für das Reha-Management
Bei der Entscheidung, ob Versicherte durch das Reha-Management begleitet werden, spielt seit Oktober 2021 auch KI eine wichtige Rolle. „Der gezielte Einsatz von künstlicher Intelligenz leistet einen Beitrag, um potenzielle Fälle fürs Reha-Management zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu ermitteln und so die Kapazitäten in den Unfallteams bestmöglich einzusetzen“, beschreibt RehaPlus-Expertin Nancy Helmis die Vorteile der Neuerung. Die KI analysiert große Datenmengen und prüft anhand von über 300 Merkmalen abgeschlossener Arbeitsunfälle die Charakteristik aktueller Unfallereignisse. Die entscheidende Frage dabei lautet: Gibt es Hinweise, die einen komplexen Verlauf des Genesungsprozesses erwarten lassen?
Die KI liefert bei diesem Analyseprozess „einheitliche Bewertungsmaßstäbe“, ob ein Unfall ins Reha-Management aufgenommen wird oder nicht. Bei schweren Verletzungen würden die Betroffenen in jedem Fall vom Reha-Management erfasst, so Helmis. Aber gerade bei nicht eindeutigen Fällen leiste die KI „wertvolle Entscheidungshilfen“.
Die RehaPlus-Anwendung bietet ihren Nutzern laut Helmis „drei sich ergänzende Prognosen“:
- zur Reha-Management-Wahrscheinlichkeit
- zur voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit und
- zu den voraussichtlichen Kosten des jeweiligen Falls.
Auch die für eine Prognose wichtigen Kontextfaktoren wie etwa die Stärke der empfundenen Schmerzen oder die Unterstützung durch das soziale Umfeld werden in die Beurteilung von RehaPlus aufgenommen. Solche Faktoren sind nach Erfahrung der BG ETEM in den Arztberichten meist unzureichend abgebildet, beeinflussen den Krankheitsverlauf aber häufig erheblich. Hierzu wird zeitnah nach dem Unfall mit den Versicherten telefonisch Kontakt aufgenommen. Die hierbei erhobenen Daten fließen in die Gesamtbewertung der KI-Modelle ein. Durch das Telefonat gewinnen die Versicherten zudem einen persönlicheren Kontakt zur Berufsgenossenschaft – oft Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Für die BG ETEM besonders wichtig: die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen von RehaPlus. Die KI berechne die genannten Prognosen „transparent und nachvollziehbar anhand von Entscheidungsbäumen“, erläutert Johannes Hüdepohl, Leiter der Stabsstelle Controlling bei der BG ETEM. Diese „Bäume“ funktionieren in der Regel nach dem Wenn-Dann-Prinzip, d.h. eine Entscheidung kommt durch einen vorhergehenden klaren Befund zustande.
In der Zukunft will die BG ETEM die Daten von früheren Unfällen auch für die Prävention nutzen. „Die KI kann uns helfen, in einer Vielzahl gerade kleinerer Betriebe diejenigen zu erkennen, in denen Präventionsmaßnahmen besonders wirksam sind – und so dazu beitragen, möglicherweise auch die Zahl von Unfällen in Zukunft zu senken“, sagt Hüdepohl.
Risikobewertung am Arbeitsplatz
Das zweite IVSS-„Zertifikat mit Auszeichnung“ erhielt die BG ETEM für ein KI-Programm, das anhand der vorhandenen Betriebs- und historischen Unfallinformationen sogenannte Unfalltendenzbetriebe auch prospektiv erkennen kann. Das bedeutet, dass die Lösung Unfalltendenzen im Betrieb bereits erkennt, bevor sich die Anzahl an Unfällen im Betrieb angehäuft hat.
Der Hintergrund: Die zur Unfallverhütung wichtigen und schon lange eingesetzten Betriebsbesichtigungen lassen sich angesichts der großen Zahl der BG ETEM-Mitgliedsbetriebe und der begrenzten Zahl der Aufsichtspersonen nur zeitversetzt umsetzen.
Besichtigungen sollen deshalb „vor allem zum Einsatz kommen, wenn das Risiko eines Betriebs als hoch eingeschätzt wird“, erläutert Frank Göller, Bereichsleiter Aufsicht und Beratung, die Besuchsstrategie der BG ETEM. „Mithilfe der KI können wir uns auf die Betriebe konzentrieren, wo unsere Hilfe am dringendsten benötigt wird.“ Die Einschätzung der KI wird dabei durch das Erfahrungswissen der BG ETEM-Aufsichtspersonen ergänzt. Deshalb gibt die KI selbst auch keine Maßnahmen zur künftigen Unfallvermeidung vor. „Die KI dient der Unterstützung, sie soll den Menschen nicht ersetzen“, betont Göller.
Laut den KI-basierten Unfallprognosen bilden im Bereich der BG ETEM vor allem Kleinbetriebe mit bis zu zehn Vollarbeitern den Unfallschwerpunkt. Deshalb wird sie den Schwerpunkt ihrer Betriebsbesichtigungen künftig auf die rund 125.000 Mitgliedsbetriebe mit höchstens zehn „Vollarbeitern“ legen. Vollarbeiter sind eine statistische Größe und entsprechen der durchschnittlich von einer vollbeschäftigten Person pro Jahr geleisteten Arbeitsstundenzahl.
Für die Aufsichtspersonen der BG ETEM, die zur Besichtigung in die Betriebe gehen, ist dank der KI jetzt immer transparent, welche Merkmale sich bei einem Betrieb belastend oder begünstigend für die Prognose ausgewirkt haben. Die KI hilft ihnen, die eigenen Ressourcen in der Überwachung und Beratung von Betrieben verantwortungsvoll und zielgenau einzusetzen.
Stefan Thissen, dfv